Heute früh kurz vor 8 Uhr ging ich zu den Meeris um nach Nicky zu sehen – meinem größten Sorgenkind derzeit. Und als ich ihn sah und vor allem hörte kriegte ich einen großen Schrecken: er hatte bereits Schnappatmung! Spätestens jetzt bestätigte sich meine Ahnung – für Nicky sah es nicht gut aus. Auf das Diuren sprach er nicht an und das Prilium hätte noch eine Weile länger gebraucht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.
Jetzt sah ich auch mehr daß Nicky sichtbar gealtert war – was ich mir bis dato nicht so recht eingestehen wollte. Im Gegensatz zu den anderen Jungs in seinem Alter, oder dem um fast anderthalb Jahre älteren Ike (übrigens Nicky’s Onkel väterlicherseits) sah Nicky wie ein Greis aus. Ich hatte natürlich schon gemerkt, daß Nicky aufgrund seines Alters und seiner Herzerkrankung etwas behäbiger geworden war als die anderen Senioren unter den Schweinchen. Aber so richtig wahrhaben wollte ich es bisher trotzdem nicht. Klar – bei Nicky war es damals bei der Züchterin Liebe auf den ersten Blick. Und so ein Schweinchen möchte man nur ungern verlieren.
Für mich stand fest: ich konnte und wollte nicht bis zum Dienstbeginn von Herrn Dr. Weber warten – Nicky mußte vorher geholfen werden – und zwar schnellstens! Ich forschte im Internet nach Tierärzten in der Nähe und prüfte deren Öffnungszeiten. Durchgängig waren diese erst ab 9 Uhr in der Praxis. So entschloß ich mich nach Dillingen zu fahren – zur Tierarztpraxis Timmermann und Ternes, wo ich mit Kyle schon einmal in der Notfallsprechstunde an einem Wochenende gewesen war. Dadurch konnte ich mir die Anmeldeformalitäten sparen, weil man mich da ja schon kannte. Und weit zu fahren hatte ich auch nicht. Für meine schlafende Tochter musste allerdings noch eine Betreuung organisiert werden – ihre Oma übernahm das aber gerne, konnte aber erst kurz vor 9 Uhr kommen… In mir machte sich Unruhe breit – aber was blieb mir denn anderes übrig alsgeduldig zu warten? Ich hatte nur den einen Gedanken: Nicky quält sich und leidet. Nachdem die Oma da war und die Betreuung für meine immer noch schlafende Tochter übernahm, packte ich Nicky ein und machte mich auf den Weg. In der Tierarztpraxis angekommen, ging die Anmeldung recht schnell von statten. Allerdings waren noch tierische Patienten im Behandlungszimmer. Jede Minute zog sich schier endlos dahin, während ich darauf wartet, daß wir endlich an die Reihe kommen. Nicky’s Schnappatmung war im leeren Wartezimmer überdeutlich zu hören – und an der Anmeldung hatte ich ja Nicky’s Zustand beschrieben. “Wir schauen mal nach ihm, was wir tun können.” war die Antwort der Helferin gewesen. Das alleine hatte mich schon geärgert. Hier war Not am Schwein – und dann diese ganze Warterei!
Normalerweise bin ich nicht gerade froh, wenn ich weiß, daß ein Schweinchen eingeschläfert werden muß – aber in Nickys Fall wollte ich seinem Leiden ein würdiges Ende setzen. Er tat mir so unendlich leid und ihn in Würde gehen zu lassen, ihn einfach einschlafen zu lassen ohne das er dadurch weitere Qualen und Schmerzen zu ertragen hat war in diesem Moment mein allergrößter Wunsch. Wie gerne hätte ich ihm selbst geholfen – aber ich war ja kein Tierarzt, dem in einem solchen Fall die Mittel zur Verfügung stehen. Ich litt mit meinem todkranken Schweinchen mit und wurde von Minute zu Minute unruhiger.
Als wir dann endlich ins Behandlungszimmer gerufen wurden, war es bereits 9:40 Uhr. Für meinen Geschmack hatte das jetzt schon viel zu lange gedauert, aber ich hatte keine Zeit um mich zu ärgern. Jetzt ging es vor allem um Nicky. Die Tierärztin erkannte denn auch sofort den Ernst der Lage, als sie Nicky sah und sie wußte auch, daß hier nur noch ein letzter Freundschaftsdienst geleistet werden konnte… Ich hatte Nicky auf den Arm genommen und weinte – ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Und auch die Tierärztin Frau Dr. Ternes machte ein unglückliches Gesicht und wischte sich ein paar Tränen weg. Sie schlug vor, Nicky mit Narkosegas einschlafen zu lassen, da dies sehr schonend sei und er keine unnötigen Schmerzen dadurch habe – anders als bei einer Spritze. Ich war damit einverstanden. Sie ging und holte eine Box, die sie mit Narkosegas füllte, in welches ich Nicky dann setzte. Sie deckte die Box mit einem Handtuch ab – wohl um mir den Anblick zu ersparen. Wir waren beide am Weinen. Ich hörte ihn noch auf die Seite plumpsen und verspürte neben der Trauer auch Erleichterung. Erleichterung darüber, daß Nicky nun geholfen wurde und daß er sich nicht länger quälen muß. Diese Erlösung habe ich bei keinem anderen Schweinchen nie dringender herbeigesehnt als an diesem Morgen. Ich habe mir Frieden für Nicky und sein krankes schwaches Herz gewünscht. Gleichzeitig war ich so unendlich traurig – Nicky hatte die Weißdorn-Tropfen immer so gut aus der Spritze angenommen: ich habe sie ihm nur hinhalten müssen, da hat er die Spritze selbst ins Mäulchen genommen. Er war immer so verschmust. Ein richtiger Herzensbrecher eben – aber er konnte seinen Mitschweinchen gegenüber auch ein ganz schönes Raubein sein… Und jetzt mußte ich ihn gehen lassen.
Frau Dr. Ternes hörte ihn nach einiger Zeit noch einmal ab – konnte aber keinen Herzschlag mehr feststellen. Nicky war eingeschlafen und über die RBB gezogen zu all den anderen Schweinchen. Sie sagte: “Jetzt hat er es geschafft.” Ich wußte, daß es ihm jetzt besser ging auf der RBW aber ich war so unsagbar traurig über den großen Verlust. Die Tränen strömten… Wir packten ihn wieder in die Transportbox, damit ich ihn mit nach Hause nehmen und im Garten begraben konnte.
Ich fühlte mich erleichtert und mies zugleich. Meine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Den ganzen Tag über kämpfte ich damit, Nicky’s Tod zu verarbeiten. Das war nicht leicht. Vor allem wenn man bedenkt wie lange wir erst mal noch warten mußten, bis Nicky einschlafen konnte. Das quälte mich vor allen Dingen. Aber ändern konnte ich es nicht. Und das tat noch mehr weh als alles andere. Ich hatte nicht gewollt, daß Nicky sich so lange noch quälen muß – ich wollte nur das Beste für ihn: einen schnellen und würdevollen Abschied.
Später am Tag rief ich in der Praxis von Herrn Dr. Weber an um Bescheid zu geben, daß Nicky es nicht geschafft hat. Die Helferin war sehr freundlich und nahm Anteil an meinem Verlust. Und wieder einmal wurde mir bewußt, warum ich Herrn Dr. Weber und sein Team so sehr schätze.